Attention Economy: Die Ökonomie hinter dem Geschäft mit unserer Aufmerksamkeit
Wer nach den umkämpftesten Gütern der Welt gefragt wird, denkt schnell an Öl oder Gold. Genauso limitiert und umkämpft ist unsere Aufmerksamkeit. Weil uns der Wettbewerb und der Preis für unsere Aufmerksamkeit nicht bewusst ist, gehen wir oft leichtfertig damit um. Die Aufmerksamkeitsökonomie betrachtet unsere Aufmerksamkeit als knappes Gut, das für Medien, Wissenschaft und Politik von großer Bedeutung ist.
Scrollen in Social Media oder Binge Watching auf YouTube sind Symptome der Aufmerksamkeitsökonomie. Dies hat schwerwiegende Konsequenzen für unser alltägliches Leben. Durch die Beanspruchung unserer Aufmerksamkeit werden unsere Aufmerksamkeitsspannen kürzer und unsere Fähigkeit, uns zu konzentrieren nimmt ab. Dieser Blogartikel gibt dir einen Überblick über die Prinzipien der Aufmerksamkeitsökonomie und zeigt, wo sie dir im Alltag begegnen.
Während seit Jahrzenten das Angebot und die Verfügbarkeit von Informationen und Unterhaltung steigt, bleibt die menschliche Fähigkeit, Informationen zu filtern und zu verarbeiten begrenzt. Mit dem größeren Angebot an Informationen steigt der Wettbewerb, unsere Aufmerksamkeit zu binden. Dieser Wettbewerb wird durch Soziale Netzwerke und Algorithmen gefördert. Spätestens mit dem Smartphone hat der Aufmerksamkeitsmagnet schlechthin als permanenter Begleiter den Weg in unseren Alltag geschafft. Deshalb sind wir so anfällig für Ablenkungen wie nie zuvor.
Von Pull zu Push: Informationen und Unterhaltung überall auf Knopfdruck
Als soziale Wesen haben Menschen ein Informations- und Unterhaltungsbedürfnis. Wir wollen wissen, was in der Welt passiert und mit unseren Freunden in Kontakt sein.
Die Digitalisierung hat die Art und Weise, wie wir unseren Informations- und Unterhaltungsbedürfnisse nachgehen von Grund auf verändert. Statt linearen Medien mit festen Programablauf, stehen digitale Medien mit breiten Angeboten zur Verfügung. Während wir früher aktiv nach Informationen und Unterhaltung suchen mussten, reicht es heute passiv zu sein, denn die Informationen und Unterhaltung kommt aktiv zu uns. Dieses Charakteristik der Attention Economy spiegelt sich in einer Vielzahl von alltäglichen Aktivitäten wider:
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Pushnachricht statt Teletext
Für das Fußballergebnis des Lieblingsclubs ist es nicht mehr notwendig, in den Teletext zu schauen oder auf die Sportschau zu warten. Jedes Tor kommt in Echtzeit als Push-Benachrichtigung direkt aufs Smartphone. -
Facebook statt Tagesschau
Wer den aktuellen Nachrichten folgen will, muss weder den Fernseher oder das Radio anschalten noch eine Tageszeitung kaufen. Egal ob Spiegel Online, Süddeutsche oder FAZ, man folgt ihnen auf Facebook und ist nicht draufangewiesen eine Tageszeitung zu abonnieren oder täglich die Tagesschau zu gucken.
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Netflix statt Kino
Netflix erspart den Weg ins nächste Kino und YouTube stellt Videos sämtlicher Gerners jederzeit zur Verfügung. Es ist nicht mehr notwendig, sich den Wecker für die Sendezeit der Lieblingssendung zu schalten, denn sie ist jederzeit abrufbar.
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Instagram und TikTok statt Diashow
Statt Diashow der letzten Urlaubserlebnisse mit Freunden und Familie, kennen die daheimgebliebenen schon Sekunden nach dem Abenteuer in der Ferne die Videos und Bild.Dank WhatsApp und Instagram hat man auch keine Sorge mehr, beim Postkarten schreiben jemand zu vergessen.
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Candy Crush statt Tetris
Statt Tetris auf einem sperrigen Game Boy mit schwarzweiß Display, wird das farbenreiche Candy Crush gespielt. Warum zusammen Stadt, Land, Fluss spielen, wenn man die Freunde auch ortsunabhängig bei Quizduell herausfordern kann?
Die Möglichkeiten des digitalen Zeitalters erleichtern uns den Zugang zu Informations- und Unterhaltungsangeboten. Fast alles, was wir wissen wollen, ist nur einen Klick oder eine Nachricht entfernt. Davon profitiert auch unser Geldbeutel:
- Medienkonzerne bieten ihre große Teile ihrer Informations- und Unterangebote online weitestgehend kostenlos an
- Der monatliche Netflix-Abo ist meist günstiger als ein Kinobesuch für zwei Personen
- Das Hochladen des Strandbilds auf Instagram kostet anders als die Postkarte kein Porto
- Die meisten Spiele im App-Store sind kostenlos oder zumindest günstiger als Konsolenspiele
Obwohl man eine größere Auswahl, mehr Komfort und schnelleren Zugriff hat, sind die monetären Kosten geringer oder sogar gar nicht vorhanden. Trotzdem konnten hinter sozialen Netzwerken und Streamingdiensten Milliardenkonzerne hervorgehen. Ihr Geschäftsmodell? Unsere Aufmerksamkeit!
Ökonomie der Aufmerksamkeit
Genau wie für Fernsehsender, Radiostationen und Zeitungsverlage, generieren unsere Informations- und Unterhaltungsbedürfnisse die Umsätze von Facebook, Google und Twitter. Statt Einschaltquoten und Absatzzahlen, zählen für die Tech-Konzerne Nutzergewohnheiten. Je öfter wir einen Dienst nutzen, desto häufiger können Werbeanzeigen verkauft werden. Daher ist es im ureigenen Interesse von Facebook, Instagram und Co., den Feed so zu optimieren, dass wir dort möglichst viel Zeit dort verbringen.
Zu Beginn des Aufkommens sozialer Netzwerke war es unklar, ob jene Konzerne dahinter jemals in der Lage sein werden, profitabel zu sein. Ihr Fokus lag voll und ganz darauf, neue Nutzer zu gewinnen. Ein Meilenstein zur Marktdurchdringung war die Verbreitung von Smartphones. Es wurde möglich, die Nutzer nicht nur vor dem PC, sondern ortsunabhängig zu erreichen. Nach dem Erreichen einer bestimmten Größe der Nutzerzahlen, gelang es den Netzwerken, in ihren Oberflächen Werbung einzubinden ohne Nutzer zu vergraulen.
Ein Blick auf den heutigen Marktwert von Facebook und Google verrät, dass die Anleger in das Geschäftsmodell der Unternehmen aus dem Silicon Valley vertrauen: Einzelne Unternehmen sind mehr Wert als alle DAX-30 Konzerne zusammen. Keinen anderen Unternehmen auf der Welt gelingt es so gut wie den Tech-Konzernen aus dem Silicon Valley unsere Aufmerksamkeit zu binden.
Supercomputer gegen empfindliche Menschen
Um unserer Aufmerksamkeit zu beanspruchen, greifen die Tech-Konzerne zu ausgeklügelten Techniken. Mit rapide steigenden Rechenleistungen, die komplexer werdende Algorithmen ermöglichen, optimieren die Tech-Konzerne ihre Feeds und die Suchergebnisse so, dass Nutzer maximal viel Zeit mit ihren Diensten verbringen.
Das Beispiel YouTube verdeutlicht den Mechanismus: Die Nutzer schauen nicht nur die Videos nach denen sie gesucht haben, sie bekommen auch automatisch ähnliche Videos vorgeschlagen. Letztendlich entschiedet nicht der Nutzer selbst, sondern der Algorithmus bestimmt, was der Nutzer als nächstes schaut. Es fällt uns schwer uns einzugestehen, dass unser Verhalten oft unseren Intentionen widerspricht. Ein Blick auf den Anteil, der Videos, die YouTube seinen Nutzern vorschlägt, verdeutlicht das Problem: 70% aller Videoviews basieren auf von YouTube vorgeschlagenen „ähnlichen Videos“.
Ein weiteres Paradebeispiel ist der „Infinity Feed“. Er begegnet uns in nahezu jedem Sozialen Netzwerk: Wir öffnen Facebook oder Instagram, wollen nur kurz eine Sache checken und enden in einem endlosen Scrollen.
Gegenbewegungen im Silicon Valley
Seit einigen Jahren wird nicht nur die externe Kritik lauter, auch im Silicon Valley regt sich Widerstand. Sean Parker, Gründungspräsident von Facebook, gibt in einem Interview offen zu, dass soziale Netzwerke menschliche Schwächen bewusst ausnutzen: „Die Motivation bei der Entwicklung der frühen Applikationen – und Facebook war die erste – war: Wie können wir so viel Zeit und Aufmerksamkeit der Nutzer wie möglich bekommen“.
Nicht nur Parker erhebt seine Stimme gegen die Praktiken der Tech-Konzerne. Seit einigen Jahren gewinnt eine Bewegung im Silicon Valley an Zulauf, die sich für eine Produktentwicklung im Nutzerinteresse einsetzt. Den Stein ins Rollen gebracht hat Tristan Harris. Der ehemalige Google-Mitarbeiter und Produktphilosoph hat vor vier Jahren die Bewegung Time Well Spent und vor zwei Jahren das Center for Human Technology gegründet. Die einstigen Tech-Pioniere haben sich das Ziel gesetzt, die Konzerne selbst zu einer grundlegenden Wende zu bringen und rufen darüber hinaus zu einer strikteren Regulation der Tech-Giganten auf.
Allgegenwärtige Ablenkungen und abnehmende Aufmerksamkeitsspannen und
Als Konsequenz des mit Supercomputern geführten Kampfes um unsere Aufmerksamkeit, sind wir allgegenwärtigen Ablenkungen ausgesetzt. Jede einzelne erhaltene Benachrichtigung und jeder Blick zum Checken der Uhrzeit auf dem Smartphone ist ein potentieller Aufmerksamkeitskiller. Die Überbeanspruchung unserer Aufmerksamkeit hat negative Konsequenzen für unserer Konzentrationsfähigkeit.
Eine von Microsoft durchgeführte Studie belegt, dass unsere Aufmerksamkeitsspannen in der jüngsten Vergangenheit rapide abgenommen haben. Während die Studie für das Jahr 2000 noch eine durchschnittliche Aufmerksamkeitspanne von 12 Sekunden feststelle, war diese 2013 nur noch 8 Sekunden. Zum Vergleich: Goldfische haben eine durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne von 9 Sekunden. Es ist anzunehmen, dass die menschliche Aufmerksamkeitspanne mit der Beanspruchung durch Smartphones und soziale Medien weiter sinkt.
Konsequenzen der Ablenkungen
Schüler, Studenten und Berufstätige sind beim Lernen und bei ihrer Arbeit auf ihre Aufmerksamkeit angewiesen. Wer sich nicht über einen längeren Zeitraum konzentrieren kann, ist nicht in der Lage, seine kognitiven Potentiale auszuschöpfen. Digitale Ablenkungen durch Smartphones sind pures Gift für konzentriertes Arbeiten.
Es fällt uns immer schwerer, uns mit komplizierteren Aufgaben zu beschäftigen. Sei es nur das Lesen eines Buches oder das Schreiben einer Mail mit komplexeren Inhalt – kaum eine Aufgabe können wir noch unterbrechungsfrei durchführen. Darunter leidet zum einen die Produktivität, zum anderen aber auch die Qualität der Arbeitsergebnisse.
Neben unproduktiven und qualitativ minderwertigen Arbeitsergebnissen kann die digitale Ablenkung auch ein Risiko für die Gesundheit sein. Eine weit verbreitete Folge von digitalem Stress sind Auswirkungen auf die Schlafqualität. Häufig fällt der letzte Blick vor dem Schlaf gehen und erste Blick nach dem Aufstehen auf unser Smartphone. Dadurch schlafen wir später ein und schlafen weniger tief.